Donnerstag, 1. Januar 2015

Lebe ich meine Träume?

Wie geil das Leben ist!


Dampfend schwenken die Bäume in der morgendlichen Brise, die taubedeckten Wiesen glitzern im satten Grün.


Ich tanze zu rasselnden Songs.


Mit einem Lächeln auf den Lippen und schwindelerregender Sorglosigkeit im Kopf.


Ich hämmere unbefangen auf meine Luftgitarre ein, wild und unbekümmert, während die ersten Sonnenstrahlen mein hoch gestyltes Haar in helles Blond tauchen und sanft über meine Wangen streicheln.


Ich habe die Zukunft vor Augen und sie leuchtet mir verheißungsvoll entgegen.


Bald lebe ich meine Träume! schallt es nur so aus meiner Brust.


Freudenschreie, Lobpreisungen aufs Leben, Hymnen voller Glückseligkeit.


Ich falle auf die Knie und öffne meine Arme, grinse breit dem Leben entgegen, schreie und lächle. Wie leicht sich alles anfühlt.


Leicht und einfach und richtig. Und echt.


Ich wache auf, wie üblich eine Stunde vor dem Weckruf, wälze mich auf den Rücken und reibe mir den Schlaf aus den Augen.


Mit schalem Geschmack im Mund und einem wehmütigem Seufzer, denke ich noch einmal zurück.


Schon wieder dieser Traum, schon wieder diese Erinnerung, schon wieder aufgewacht. Schon wieder hier.


Es ist nicht mehr Nacht und noch nicht Morgen, eine Zeit zwischen den Zeiten.


Augenblicke, in denen alles klar erscheint.


Jetzt sollte ich doch eigentlich schon dort sein, wo ich mich damals in meinen Träumen gesehen habe.


Jetzt sollte diese damals so verheißungsvolle Zukunft doch zum Präsens und zur Realität geworden sein.


Jetzt sollte ich voller Freude rufen können:


“Ich lebe meine Träume!”


Doch das kann ich nicht.


Stattdessen kommen mir diese Worte hohl und fremd vor. Ich lebe meine Träume. Von wegen!


Der Tagesablauf rollt sich vor meinem inneren Auge aus. Ein Tag wie jeder andere auch:


Aufstehen und wieder ein Stück weiter sterben.


Ich will mir selbst nicht die Niederlage eingestehen, will nicht zurückdenken und darüber reflektieren, wann es war, als ich von meinem Weg abgekommen bin – war es doch gar nicht lange her, da hatte ich noch den Glauben an ein erfülltes und glückliches Leben nach eigenen Vorstellungen.


Ich war überzeugt, etwas schaffen zu können,  es weit zu bringen im Leben.


Ich wollte nicht einer von denen sein, die ihre Träume nie verwirklichen und nostalgisch im Konjunktiv II Plusquamperfekt daherreden, was sie doch alles hätten machen können, wäre ihnen nicht das und jenes dazwischen gekommen.


“Du wolltest abnehmen, früher aufstehen, öfter rausgehn,


mal deine Träume angehn, mal die Tagesschau sehen


für dein Smalltalk-Allgemeinwissen. 


Aber so wie jedes Jahr, 


obwohl du nicht damit gerechnet hast, 


kam dir wieder mal dieser Alltag dazwischen.” 


– aus Julia Engelmann’s One Day/Reckoning Text


Nein, ich wollte kein Opfer der Umstände werden, war ich doch ein Kämpfer, der unter der aufgehenden Sonne selbstsicher und aus voller Brust grölend seine Überzeugungen in Richtung Sterne schrie.


Damals war es die Zukunft, in der ich leben wollte.


Alles schaute so klar und funkelnd für diesen Jungen aus.


Eine Welt aus erfüllten Träumen, fertig aufgebaut und frisch bezogen, wartete bloß darauf gestürmt zu werden. Das Erwachsenwerden konnte nicht schnell genug kommen.


Es waren Jahre des Glücks. Jahre voller Freiheit und Sorglosigkeit, in denen Deryck Whibley mich überallhin begleitete und obwohl ich seine Worte nicht verstand, wusste ich, dass er Hymnen auf das Leben sang.


Sein Leben und mein Leben: Eigentlich zwei Leben voller Potential und Möglichkeiten.


Some say we’re never meant to grow up
I’m sure they never knew enough
I know the pressures won’t go away
It’s too late


Ich lebe meine Träume!


Nein, tue ich nicht,


stattdessen träume ich mich fort, zurück in die Vergangenheit.


Damals war ich jung und authentisch, war lebensfroh und abenteuerlustig. Ich hatte Möglichkeiten.


Ich konnte mich entscheiden, konnte zwischen so vielen Wegen wählen und alle funkelten verheißungsvoll in der Ferne.


Hier aber ist alles brüchig, zumindest jetzt.


Es gibt keinen Grund mehr zu bleiben.


Ohne es zu merken, habe ich mir ein Leben aufgebaut, das ich nie haben wollte.


Es ist voll von Dingen, die ich nicht brauche, basierend auf einem Wertesystem, an das ich eigentlich nie geglaubt habe.


Die Zukunft sieht anderswo viel besser aus, warum sollte ich nicht dorthin gehen, wenn es mir doch möglich ist?


Find out the difference somehow
It’s too late to even have faith
Don’t think things will ever change
You must be dreaming


Und während ich so wach liege und nachdenke, wälzt sich erbarmungslos der Morgen heran.


Mein Wecker klingelt und mein Jugendlied, mein Partylied, mein Scheiß-drauf-heute-lebe-ich-Lied erschallt.


Zupfender Gitarrenbeat gepaart mit rasselnden Trommeln rüttelt ein Stakkato an Erinnerungen wach.


Wenn dann der wohl besoffene Deryck mit raspelnder Stimme im Refrain explodiert, dann regt sich etwas in mir, ein schon lange verstummtes Echo einer verheiflungsvollen Zukunft, tief drinnen, genau dort unten, in jenem finsteren Winkel, wo immer noch dieser Junge von einst seine Überzeugungen hinauf zu den Sternen schreit.


Wild, unbändig und hemmungslos.


Und voller Inbrunst dem Leben entgegen.


Jetzt verstehe ich.


Jetzt verstehe ich, was Deryck singt und immer noch ist dieser Song der Soundtrack meines Lebens.


Nur eben anders, denn jetzt verstehe ich.


Und während Some say in meinen Ohren rauscht, bekommt die Fassade meiner Ansichten weitere Risse.


Alles beginnt zu bröckeln, droht einzubrechen und den Blick auf das darunter freizulegen.


Wie konnte es passieren, dass ich mich angepasst habe?


Wie konnte es passieren, dass ich die Erwartungen und Grenzen akzeptierte, die mir die Gesellschaft vorgab?


Wie konnte es passieren, dass ich ein Leben ohne Plan lebe?


Und wie konnte es passieren, dass ich zu dem wurde, der ich bin, und auf den ich jetzt so gar nicht klar komme?


Seems like everything we knew
Turned out were never even true
Don’t trust, things will never change
You must be dreaming


Ich lebe meine Träume!


Damn! No! Denn es ist leichter gesagt als getan.


Würde ich sie leben, dann wäre ich nicht hier. Nicht hier in diesem Bett. Zu dieser Zeit. Mit diesen Gedanken.


Lebte ich meine Träume, dann wäre ich dieser Junge, der aus tiefster Überzeugung es zu schaffen, einfach seinen Weg gegangen wäre, ohne einen **** darauf zu geben, was die anderen ihm einreden und ohne Zweifel an der Richtigkeit seiner Entscheidungen.


Believe me ’cause now’s the time to try
Don’t wait, the chance will pass you by
Time’s up to figure it out
You can’t say it’s too late


Heute verstehe ich Deryck.


Jetzt ist die Zeit, etwas zu ändern.


Irgendwo im Darunter ist noch dieser hemmungslos tanzende Junge, mit all seinen Träumen und dem Glauben an ein selbstbestimmtes Leben.


Noch habe ich eine Chance, denn gerade eben beim Aufwachen, habe ich sie erhalten.


Und es stimmt: Ich kann aufstehen und mein Leben so leben, wie ich es möchte.


Ich kann raus aus dem Alltagstrott und mich befreien von all den angelernten Werten und Glaubensätzen, die diesen wilden Jungen von damals so tief in mir begraben haben.


Ich kann aufstehen und kämpfen, kann die Welt mit meinen Träumen stürmen.


Ich brauche nur Mut dazu, denn noch ist alles möglich, noch ist nichts verpasst.


Noch ist nichts zu spät.


Und irgendwie weiß ich: Ich kann es schaffen.


Ja, ich kann es schaffen, ich muss nur alle widersinnigen Verhaltensweisen loslassen, die ich mit der Zeit gelernt habe und endlich wieder an mich selbst glauben.


Endlich wieder auf diesen Jungen in mir hören, dessen Flüstern von all den fremden Glaubenssätzen des Erwachsenseins überschrien wurde, und der nun mit immer lauter werdender Stimme wiederholt:


I can do this on my own

And if I fall I’ll take it all

It’s so easy after all


Heute.


Heute darf endlich wieder dieser Junge raus, darf mit seiner Unbekümmertheit jenem Leben ein Stück näher treten, das er sich vor so langer Zeit erträumt hat, denn es stimmt:


I can do this on my own.


Und wenn ich falle, ja, wenn ich falle, dann nehme ich es eben hin. Dann habe ich es zumindest probiert!


Ist mir egal, was die Gesellschaft von mir erwartet!


Ist mir egal, was die anderen machen!


Ist mir egal, was die anderen denken!


Ich will leben!


Ich werfe die Decke von mir, springe aus dem Bett und reiße die Vorhänge auf.


Die Sonne scheint mir ins Gesicht und ich muss lächeln. Eine Stimme presst die wohlbekannten Worte aus meiner Brust.


Ich singe. Schief aber entfesselt.


Berauscht tanze ich zum Spiegel, die Haare zu hellem Blond erleuchtet und zu allen Seiten abstehend.


Ich hämmere auf meine Luftgitarre ein.


Deryck schreit. Der Junge schreit. Ich schreie.


Meine Finger zittern über die Saiten, während sich die Trommeln dem Höhepunkt nähern.


Dann Stille. Eine Sekunde lang.


Mein Herz pocht.


Ich schaffe es!


Alles in mir ist angespannt, bereit die Ketten zu sprengen, bereit zur Befreiung.


Und dann Explosion:


Think before you make up your mind
You don’t seem to realize
I can do this on my own-
Think before you make up your mind
You don’t seem to realize
I can do this on my own
And if I fall I’ll take it all
It’s so easy after all


Der Junge sinkt auf die Knie, er lächelt, obwohl er schwer schnauft.


Wie leicht sich alles anfühlt. Leicht und einfach und richtig. Und echt.


Alles ist gut, sagt eine Stimme. Und ja, ich glaube es.


Tief im Herzen glaube ich es, denn ich fühle:


Jetzt fängt das Leben an.


believe me, it’s alright
It’s so easy after all


 


 


 


Inspiriert von Derycks Worten von Sum41 in seinem Song “Some say” und einem Vers aus einem seiner anderen Lieder, der da lautet: “Just look up in the stars and believe who you are.”


Gewidmet Deryck Whibley, der im Mai 2014 nach jahrelangem Alkoholmissbrauch wegen Leber- und Nierenversagen zusammenbrach, dessen Leben dann im Krankenhaus, auf der Intensivstation und im künstlichen Koma wochenlang am seidenen Faden hing. Jetzt hat er dem Alkohol abgeschworen und arbeitet mit seiner Band Sum41 an einem neuen Album.


Danke Deryck für deine Songs und viel Glück für die Zukunft.


Just look up in the stars and believe who you are.


believe me, it’s alright
It’s so easy after all


 


 


 


Über den Autor: 


Bloggerfrischling Matthias aka Weltenstürmer Mad zeigt auf seinem Blog mit berührenden Geschichten über Glücklichsein, Selbstfindung und persönlichen Erlebnissen, wie er die Welt mit seinen Träumen stürmt.


Er ist überzeugt: Er selbst (und du selbst) ist der Schlüssel zu einem erfüllten und glücklichen Leben. Mad glaubt fest an die Werte der GenY, er hat sein Studium abgebrochen und ist nun dabei sich seinen größten Traum zu erfüllen und Romanautor zu werden.



Lebe ich meine Träume?

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