Donnerstag, 17. September 2015

Brief an meine Mutter

Hey Mum,


ich erlaube dir, dass du dich für mich schämst.


ich finde es okay, dass du manchmal wütend auf mich bist.


ich finde es okay,


wenn du mich manchmal nicht verstehst


oder nicht nachvollziehen kannst


warum ich tue was ich tue


oder warum ich schreibe was ich schreibe.


Gleichzeitig erlaube ich mir selbst


Dinge zu teilen, die ich nicht teilen würde,


wenn ich auf dich oder jemand anderen da draußen


oder in meinem Leben


Rücksicht nehmen würde.


Manchmal mag es richtig und wichtig sein, Rücksicht zu nehmen.


Und ich liebe dich.


Ich spüre deine Liebe und deine Fürsorge.


Und irgendwie merke ich auch, dass du an mich denkst.


Dieser Band zwischen uns, der muss nicht sterben.


Ich habe eher das Gefühl, dass er gerade stärker denn je werden kann.


Ich weiß mittlerweile, dass ich nicht für deine Gefühle und deine Scham verantwortlich bin.


Genauso wie ich für die Gefühle keiner Person, die Scham von niemandem und die körperlichen Sensationen keiner Person, die das das hier liest verantwortlich bin.


Das bist und machst alles du. Das spürst alles du.


Gleichzeitig, Mum, bin ich dankbar, wenn du versuchst mich zu verstehen. Das schätze ich wirklich sehr.


Auch wenn ich weiß, dass du mich wahrscheinlich nie ganz verstehen wirst –


genau wie ich dich nie ganz verstehen werde,


genau wie ich meine Freunde,


wie ich meine Partnerin


nie ganz verstehen werde.


Lange Zeit habe ich mir gewünscht doch irgendwann komplett verstanden zu werden.


Aber ich glaube das wird es nie geben. Denn ich verändere mich die ganze Zeit. Und ich verstehe mich ja selbst manchmal nicht.


Wie sollte ich dann von anderen erwarten mich zu verstehen?


Du kannst mir zuhören. Mir deine volle Aufmerksamkeit schenken.


Mit mir präsent sein. Mir sagen was du spürst.


Dann ist rein rationales Verständnis Nebensache.


Denn dann sind wir einfach. Zusammen. In dem Moment den wir teilen.

Und das ist alles, was wir haben.


In Liebe,

Dein Sohn



Brief an meine Mutter

Montag, 7. September 2015

Du musst nur "den richtigen Weg" finden... :(

auf der suche


nach meinem weg


habe ich lange zeit


nach dem “richtigen” weg gesucht


nach dem “einen weg”


nach dem “perfekten weg”


der weg, der alles gut macht


der mir all das bringt, was ich mir erhoffe


der mir das leben ermöglicht,


das ich mir in meinem kleinen Kopf ausgemalt habe


ein Bild, das so schön aussah, so einfach, so glaubhaft


ein Bild von einem Menschen – mir –


akzeptiert und angesehen


respektiert und bewundert


_____


ein Bild,


das meine Eltern und die Gesellschaft für mich gezeichnet haben


ein Bild meines Lebens,


das mein Geist zeichnete


und nicht mein herz


ein Bild meines Lebens,


mehr schwarz-weiß als bunt,


mehr statisch als lebendig.


_____


eigentlich wusste ich gar nicht was ich will


weil ich mich das nie wirklich gefragt hatte


weil ich nie verschiedene Wege oder Perspektiven gesehen hatte


weil ich nie rausgegangen war in die Welt,


sondern einfach das angenommen habe,


was mir angeboten und vorgelebt wurde.

_____


der plan war klar:


schmerzen und Unsicherheit vermeiden


wenig aufwand, viel ertrag


wenig Risiko, viel Sicherheit


nur nicht zu sehr aus der reihe tanzen,


liebes-entzug ja vermeiden.


_____


denn wer weiß, ob ich das überhaupt aushalten könnte


ob ich das überhaupt überleben würde


das Gefühl zu haben nicht mehr geliebt zu werden


nicht mehr akzeptiert zu werden.


irgendwie nicht mehr so ganz dazu zu gehören…


…das erzeugt viele sensationen im eigenen Körper,


die ich noch gar nicht wirklich deuten konnte.


Gefühle, Emotionen und Sensationen von denen ich dachte, dass sie falsch sind


Gefühle, Emotionen und Sensationen,


die mein geist in eine “gut” und eine “schlecht” box einsortierte


Gefühle, Emotionen und Sensationen von denen ich dachte,


dass sie nur beweisen, dass ich auf dem “falschen” weg bin


Traurigkeit.


Hilflosigkeit.


Wut.


Und mittendrin sitze ich auf meinem Bett.


Alleinsein.


nie hatte ich gelernt damit umzugehen.


also dachte ich, ich wäre falsch.


auf dem falschen weg.


sackgasse.


_____


meine alte Identität war futsch,


es gab nichts mehr zum festhalten.


nur leere,


unsicherheit,


angst.


und irgendwo ganz leise.


mut. Hoffnung.


_____


und immer wieder waren da diese gedanken:


irgendwas musste verkehrt mit mir sein.


ich konnte doch nicht so verdammt “lost” sein.


ich konnte doch nicht einfach so alles hinschmeißen


wer war ich schon,


was wusste ich schon vom leben.


__


wer würde mir ab sofort die Sicherheit und den halt geben


wer würde mir die Akzeptanz und die liebe geben,


wenn ich nicht mehr fremde Erwartungen erfüllen würde


wer würde mir liebe schenken,


wo ich doch nie gelernt hatte mich selbst zu lieben.



heute wünsche ich mir,


dass mir jemand früher gesagt hätte,


dass es keinen “richtigen” weg gibt


und keinen “falschen”


dass es okay ist immer wieder zeitweise “lost” zu sein


dass es ziemlich angenehm ist mehr als eine Identität zu haben


und die eigene identität immer wieder zu hinterfragen


dass es okay ist, darüber nachzudenken vor die nächste U- oder S-Bahn zu springen


dass es okay ist emotionale Sensationen im eigenen Körper zu spüren


dass es okay ist nächtelang nicht schlafen zu können und das kissen voll zu heulen


dass es okay ist über Wochen nicht arbeitsfähig zu sein,


weil ich der “liebe meines lebens” nachtrauerte.


_____


einen job zu haben scheint richtig


zu lange reisen scheinbar falsch zu sein


geld verdienen scheint richtig zu sein


kein geld zu haben oder zu wollen falsch


eine monogame beziehung zu führen und in den zwanzigern zu heiraten


scheint ein richtiger move zu sein


mit Frauen zu schlafen, die meine Mutter sein könnten


und keine monogame beziehung führen zu wollen


könnte falsch oder zumindest komisch sein.


zur uni zu gehen ist definitiv richtig


nicht an die Uni gehen definitiv falsch.


könnte man meinen.


_____


alles was ich mir gewünscht hätte als ich 18 war


ist, dass


mir jemand sagt,


dass


es kein richtig und kein falsch gibt


dass es keinen richtigen und keinen falschen weg gibt


dass der einzige der entscheidet was gut für mich ist


ich bin


dass der einzige der entscheidet was sich gut anfühlt


ich bin


dass der einzige der entscheidet was ich will


ich bin.


dass nichts absolut ist


und jeder seine eigene realität und perspektive hat


dass jeder seine community finden kann


egal wie verrückt er sich fühlt


und wie wenig er das Gefühl hat dazu zu gehören


dass es immer mindestens einen da draußen gibt,


der genau so denkt und fühlt wie ich


der genau den gleichen scheiss durchmacht


der ins Kissen heult und sich nach seinem tribe sehnt


der denkt er sei verrückt geworden


und sich doch gar nicht so verrückt fühlt


wie alle ihn halten.


_____


es gibt kein “verrückt”


genau wie es kein “richtig” und “falsch” gibt


das hätte ich mir gewünscht.


dass jede art von Sensation, Gefühl und Emotion ihre Berechtigung hat und ihre eigene Schönheit.


dass die wahrheit immer schön ist.


egal wie viel angst wir vor ihr haben mögen.


_____


sagt es euren kids.


jetzt.

mein soundtrack zum text: Oh Wonder – All We Do.



Du musst nur "den richtigen Weg" finden... :(